Rückzug und Tragödie
Mit der Stuttgarter Neuen Sezession wurden seine Bilder endlich von einem breiten Publikum wahrgenommen – und überwiegend auch geschätzt. 1933 kommt das jähe Ende: Die erfolgreiche Ausstellungsgemeinschaft wird aufgelöst. Lehmann ist mehr oder weniger auf sich alleine gestellt. Er lebt relativ zurückgezogen in seinem Gerlinger Atelierhaus und hält sich wirtschaftlich als Lehrer und Reiseführer über Wasser. Der Künstler Alfred Lehmann widmet sich vor allem der Landschaftsmalerei – bis ihn zwischen 1938 und 1945 persönliche Tragödien fast vollständig aus der Bahn werfen.
Bescheidene Zeiten
Vom Traum, in der Kunstwelt für Furore zu sorgen, muss sich Alfred Lehmann in den 30er Jahren zunächst einmal verabschieden. Zu einem radikalen Bruch kommt es allerdings vorerst nicht. "Die Kunst geht nach dem Brot", klagt der Maler Conti in Lessings Emilia Galotti – und so ist es auch bei Alfred Lehmann: Er findet eine Anstellung als Dozent an der Volkshochschule Stuttgart und bekommt zudem die Möglichkeit, Kunstreisen zu begleiten. Für ein bescheidenes Einkommen ist also gesorgt. Und auf dieser Basis kann Lehmann auch als Künstler seinen Weg weitergehen.
Die Themen der 30er Jahre
1936 entsteht eines von Lehmanns bekanntesten Gemälden, der "Weibliche Rückenakt", der heute in der Stuttgarter Staatsgalerie zu sehen ist. Verschiedene Zeichnungen und Aquarelle nehmen mit ihren Aktgruppen Lehmanns großes Thema der Nachkriegszeit vorweg. Der Schwerpunkt liegt jedoch in einem anderen Bereich: der Landschaft.
Schwerpunkt: Landschaftsmalerei
Einige von Lehmanns Landschaftsbildern der 30er Jahre zeigen sehr weite, fast impressionistisch wirkende Ausblicke. Die meisten jedoch konzentrieren sich auf kleinere Ausschnitte der Natur: Vor allem die Gärten seiner engeren Umgebung haben es Lehmann angetan – und er greift damit einen "Trend" auf, der sich bereits in der Freilichtmalerei des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat: Die Natur "von nebenan" wird als Motiv entdeckt und tritt an die Stelle grandioser Ideallandschaften. Warum denn in die Ferne schweifen...? Der Maler findet eine Fülle von Geheimnissen direkt vor seiner Haustür. Das Ergebnis sind ruhige, im positiven Sinne unspektakuläre Bilder, die trotzdem eine starke Wirkung erzielen. Zentrale Themen sind die Farben und die Spannung, die zwischen den einzelnen Bildelementen entsteht.
Der "Blick über den Fasanengarten"
Ein typisches Beispiel für Lehmanns Malerei der 30er Jahre ist der "Blick über den Fasanengarten" von 1936: Die Farbtöne werden in unregelmäßigen Pinselstrichen nebeneinander und übereinander gesetzt. Unterschiedliche Strichlängen, unterschiedliche Ausrichtungen, vielfältige Farbnuancen: aus diesen Elementen entsteht die Gesamtkomposition. Grün, Braun und Blau gliedern das Bild in der Horizontalen. Die Baumstämme zur Rechten und zur Linken durchschneiden die Szenerie in der Vertikalen. Und wieder gilt der Grundsatz: Nicht das naturalistische Detail ist wichtig, sondern die Gesamtstruktur der Farben und Formen.
Tragische Jahre
1938 beginnt für Lehmann die Zeit der persönlichen Tragödien: Seine erste Frau, Maria Sebald, stirbt kurz nach der Hochzeit. 1941 heiratet Lehmann Lisbeth Gregor, die ein Jahr später bei der Geburt der Tochter an Kindbettfieber stirbt. 1943 stirbt auch die Tochter. Depressionen verurteilen Lehmann zu einem langen Klinikaufenthalt. Trotzdem: Die Leidenschaft für die Kunst bleibt lebendig. Und die Nachkriegszeit wird auch für Alfred Lehmann zu einem Neubeginn.
Blick über den Fasanengarten - Gerlingen, 1936 Öl auf Pappe, 51 x 69 cm Privatbesitz, WVZ 55 |