Auf dem Weg zu zur künstlerischen Reife
Alfred Lehmann, der zeichnerisch talentierte Junge aus bürgerlich gediegenem,
kunstsinnigen Haus, wächst auf in einer künstlerisch quicklebendigen Epoche.
Und die intellektuelle Szene seiner Heimatstadt Stuttgart ist gerne bereit,
sich auf die Provokationen neuer Kunst einzulassen.
Seit 1906 lehrt an der Stuttgarter Akademie Adolf Hölzel, Pionier der
abstrakten Kunst schlechthin, der sich von "Außerkünstlerischem" in der Kunst
(sprich Gegenständlichem) fast vollständig verabschiedet hat. 1907 macht die
französische Moderne im Kunstverein Station: Gauguin, nahezu alle "Nabis" (eine
avantgardistische Pariser Künstlergruppe der Jahrhundertwende, der z.B.
Aristide Maillol angehört), Seurat und van Gogh sind zu sehen. Die ständige
Ausstellung des Kunstvereins präsentiert Werke von Corinth, Modersohn-Becker
und Baumeister. 1913 wird das neue Kunstgebäude am Schlossplatz mit
schwäbischen und deutschen Bildern, aber auch mit Werken Courbets, Cézannes,
Gauguins, van Goghs und sogar Picassos eröffnet. Der neue Kunstsalon am
Neckartor zeigt Baumeister, Schlemmer und Stenner.
Aufbruch, Veränderung und nicht selten auch Revolte: In diesem Umfeld muss der
junge Maler Alfred Lehmann seinen Platz finden, Stellung beziehen. Kein Wunder,
dass die Auseinandersetzung mit der Moderne das künstlerische Denken und
Handeln Lehmanns zeitlebens prägt – von der Akademiezeit bis hin zu den
kunsttheoretischen Diskussionsbeiträgen der späten 40er und frühen 50er
Jahre.
In dieser Auseinandersetzung wird Lehmann stets ein Verfechter der
Gegenständlichkeit (nicht aber der simplen Naturnachahmung!) bleiben. Eine
quasi autistische Kunst ohne Weltbezug – so führt er in seiner
Baumeister-Kritik von 1949 aus – muss zwangsläufig unvollständig und
unbefriedigend bleiben. Sie wird dem menschlichen Auftrag, die Welt in ihrer
Ganzheit zu erkennen, nicht gerecht.